Abgasskandal: Schadenersatz wegen Verstoßes gegen europarechtlicher Vorschriften

Landgericht Kleve, Urteil vom 31.03.2017 – 3 O 252/16

Abgasskandal: Schadenersatz wegen Verstoßes gegen europarechtlicher Vorschriften

Tenor:

Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an den Kläger 14.670,22 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 26.10.2016 zu bezahlen, Zug- um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW Golf Variant Match 1.6 TDI, FIN xxx.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 2) verpflichtet ist, der Klägerpartei Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs VW Golf Variant Match 1.6 TDI (FIN xxx) durch die Beklagte zu 2) resultieren.

Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte zu 1) mit der Rücknahme des im Klageantrags zu 1) genannten PKW in Annahmeverzug befindet.

Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 526,58 € freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 20 %, die Beklagte zu 1) zu 75 % und die Beklagte zu 2) zu 5 % zu tragen.

Die außergerichtlichen Auslagen des Klägers haben die Beklagte zu 1) zu 75 % und die Beklagte zu 2) zu 5 % zu tragen.

Die außergerichtlichen Auslagen der Beklagten zu 1) hat der Kläger zu 20 % zu tragen.

Im Übrigen hat jede Partei ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 18.000 €. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagte zu 1) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils für die Beklagte zu 1) vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ansprüche nach einem PKW-Kauf in Zusammenhang mit der sogenannten „VW-Abgasskandal“.

Der Kläger erwarb bei der Beklagten zu 1) nach Bestellung vom 05.06.2014 (Anlage K1 zur Klageschrift, Anlagenband I) einen VW Golf Variant Match TDI zum Preis von 17.900 € mit einer damaligen Laufleistung von 19.990 km (Datum der Erstzulassung: 21.03.2013). Einbezogen war die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten zu 1) (Anlage zur Klageschrift, Anlagenband I).

Eingebaut in das Fahrzeug ist ein Motor des Typs EA 189 des Volkswagenkonzerns. Das streitgegenständliche Fahrzeug wurde insgesamt von der Beklagten zu 2) produziert.

Mit Anwaltsschreiben vom 07.12.2015 (Anlage K2 zur Klageschrift, Anlagenband I) erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten zu 1) die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung, hilfsweise den Rücktritt vom Kaufvertrag und hilfsweise setzte der Kläger eine Frist zur Nachbesserung bis zum 17.12.2015.

Hierauf reagierte die Beklagte zu 1) mit Schreiben vom 11.12.2015 (Anlage K3 zur Klageschrift, Anlagenband I).

Während des laufenden Gerichtsverfahrens teilte die Beklagte zu 1) mit Schreiben vom 12.01.2017 mit, dass das klägerische Fahrzeug nunmehr umgerüstet werden könne (Anlage zum Schriftsatz der Beklagten zu 1) vom 16.01.2017, Bl.418 GA).

Der Kläger trägt vor:

Die Beklagte zu 2) habe in der Motorsteuerung des Motors EA 189 eine illegale Abschalteinrichtung verwendet, um die geltenden Abgasnormen zu umgehen. Dies sei in der Weise erfolgt, dass die Software die Prüfungssituation auf dem Prüfstand erkennt und dann die Abgasaufbereitung so „optimiert“, dass möglichst wenige Stickoxide (Nox) entstehen. Im normalen Fahrbetrieb würden dagegen Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb gesetzt, weshalb die Nox-Emmissionen dann erheblich höher seien. Auf diese Weise würden die Testergebnisse des maßgeblichen NEFZ (sogenannter Neuer Europäischer Fahrzyklus) manipuliert und die Fahrzeuge dann in die Schadstoffklasse Euro 5 eingruppiert, obwohl tatsächlich deren Grenzwerte ohne die Manipulationen nicht eingehalten würden.

Damit sei das klägerische Fahrzeug mangelhaft.

Es handele sich auch um einen erheblichen Mangel. Insbesondere sei die Zulassung erloschen und die Fahrzeuge seien nicht zulassungsfähig. Das Kraftfahrtbundesamt habe sich über geltendes Recht hinweggesetzt, indem es in diesem Zusammenhang Ausnahmen von dem Entzug der Fahrerlaubnis zugelassen habe.

Eine Nachbesserung sei nicht möglich, da eine Reduzierung der NOx-Werte zwangsläufig auch eine Erhöhung der CO2-Werte zur Folge habe. Auch hätten Tests an „nachgebesserten“ Fahrzeugen ergeben, dass der Kraftstoffverbrauch um bis zu 8 % gestiegen sei, es zu Leistungsverlusten insbesondere im höheren Drehzahlbereich komme und die Warnleuchte des Dieselpartikelfilters undermittelt beim Ausrollen des Fahrzeugs anging,.

Im Übrigen hätte eine Nachbesserung aber jedenfalls zur Folge, dass Verschleißteile wie Abdichtungen schneller gewechselt werden müssten und die Lebensdauer des Motors insgesamt verringert sei. Allein insoweit entstünden dem Kläger dann Zusatzkosten in Höhe von 3.000-4.000 €.

Jedenfalls aber sei der Marktwert des Fahrzeugs erheblich in einer Größenordnung von 10-25 % negativ beeinflusst.

Auch sei eine Nachbesserung nicht innerhalb angemessener Zeit möglich und ferner dem Kläger nicht zumutbar. Denn die Nachbesserung könne nur unter Einbindung der Beklagten zu 2) erfolgen, welche die Manipulation veranlasst habe.

Dem Kläger, der ein umweltfreundliches, wertstabiles mit geringem Kraftstoffverbrauch erwerben wollte, sei es auch gerade darauf angekommen, dass die in öffentlichen Anpreisungen benannten Motoreigenschaften auch tatsächlich vorlägen. Sowohl die Werte zu den NOx-Werten seien falsch, als auch die Pflichtangaben gemäß PKW-Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung (PKW-EnVKV) seien unzutreffend, weil sie auf der Motormanipulation beruhten. Insgesamt hätte dem streitgegenständlichen Fahrzeug nicht die „Euro 5“-Norm erteilt werden dürfen.

Als VW-Vertragshändler müsse sich die Beklagte zu 1) das arglistige Verhalten der Beklagten zu 2) zurechnen lassen, da beide Beklagten aufgrund der Vertriebsstruktur arbeitsteilig vorgingen und die Beklagte zu 1) auch im operativen Geschäft Weisungen der Beklagten zu 2) unterworfen sei. Nach außen hin präsentierten sich beide Beklagten als „Einheit“.

Die Beklagte habe anfechtungs- und (hilfsweise) rücktrittsbedingt den Kaufpreis zurückzuerstatten.

Die Beklagte zu 2) hafte dem Kläger für alle Schäden aus der Motorsteuerungssoftwaremanipulation: Sie hafte gemäß §§ 311, 241 Abs. 2 BGB, da ihr bekannt sei, dass alle von ihr für den Motor zur Weitergabe bestimmte Informationen auch tatsächlich über Prospekte, Werbemaßnahmen usw. weiterkommuniziert und in Verkaufsgesprächen Verwendung fänden.

Daneben hafte die Beklagte zu 2) gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB sowie gemäß § 826 BGB. Denn ohne die Manipulation und Täuschung hätte der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erworben.

Es sei auch davon auszugehen, dass die seinerzeit tätigen Vorstände Kenntnis von den Vorgängen hatten. Jedenfalls aber komme die Beklagtenseite ihrer sekundären Darlegungslast nicht nach, weil sie nicht offen lege, welche Personen aus dem Konzern an den Manipulationen beteiligt gewesen seien,

Nutzungsersatz schulde der Kläger für das Fahrzeug nicht, zumal das Fahrzeug auch bei der Nutzung „von Beginn an einem Minderwert unterlegen habe“. Bei der Berechnung sei die Laufleistung von ca. 60.000 km am 27.12.2016 anzusetzen, nicht aber die beklagtenseits vorgetragene Gesamtlaufleistung von 200.000 km, da „Fahrzeuge dieser Art Kilometerlaufleistungen bis zu 500.000 km aufwiesen“.

Die Beklagten hätten ferner (nicht anrechenbare) Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.530,63 € nach näherer Darstellung von Seite 48 des klägerischen Schriftsatzes vom 27.12.2016 (Bl. 268 GA) zu erstatten, wobei der Ansatz einer 2,0-fachen Gebühr angemessen sei (vgl. näher S. 49 ff. des vorgenannten Schriftsatzes). Darüber hinaus sei der Rechtsstreit für den Kläger (finanziell) sehr bedeutsam (klägerischer Schriftsatz vom 28.12.2016, Seite 121 = Bl. 411 GA)

Der Kläger beantragt nunmehr – nach teilweiser Klageänderung hinsichtlich des Klageantrags zu 4 – ,

1. die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an den Kläger 17.900 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 11.12.2015 zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW Golf Variant Match 1.6 TDI, FIN xxx

2. festzustellen, dass die Beklagte zu 2) verpflichtet ist, der Klägerpartei Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs VW Golf Variant Match 1.6 TDI (Fahrzeugidentifikationsnummer: xxx) durch die Beklagtenpartei resultieren

3. festzustellen, dass sich die Beklagte zu 1) mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1. genannten PKW in Annahmeverzug befindet

4. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.530,63 € freizustellen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Sie tragen vor:

Die Klage sei hinsichtlich des Klageantrags zu 4) bereits unzulässig, da den Bestimmtheitsanforderungen nicht genügt werde.

Das klägerische Fahrzeug sei nicht mangelhaft:

Die Typengenehmigung sei nicht rechtswidrig erlangt worden, weil keine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege, da die Steuerungssoftware dazu führe, dass beim Durchfahren des NEFZ Abgase wieder in den Motor zurückgeführt würden, bevor sie das Emmissionskontrollsystem erreichten und diese Funktion gerade nicht im realen Fährbetrieb auf das Emmissionskontrollsystem einwirke.

Die bislang vorhandene Motorkonfiguration beeinträchtige weder die technische Sicherheit noch die Gebrauchstauglichkeit. Insbesondere bliebe die Zulassung bestehen.

Auch drohten keine finanziellen Nachteile, weil keine der für die Kraftfahrtsteuer maßgeblichen Größen betroffen sei

Trotz fehlender Mangelhaftigkeit habe die Beklagte zu 2) im Rahmen eines Zeit- und Maßnahmenplans, der mit dem KBA abgestimmt sei, sich zur technischen Überarbeitung bereit erklärt.

Mit Wirkung vom 03.11.2016 habe das Kraftfahrt-Bundesamt die „technische Lösung“ für das streitgegenständliche Motorenmodell freigegeben. Diese beinhalte für das streitgegenständliche Motorenmodell lediglich ein Softwareupdate und den Einbau eines Strömungsgleichrichters und damit Nacharbeiten von weniger als einer Stunde bei einem Kostenaufwand von deutlich weniger als 100 € vor.

Erst unter Einbindung des KBA und der Beklagten zu 2) könne die Beklagte zu 1) nach einem abgestimmten Zeitplan die vorgesehenen Nacharbeiten am Fahrzeug leisten.

Durch Umsetzung der „technischen Lösung“ käme es – wie auch vom Kraftfahrt-Bundesamt bestätigt – nicht zu negativen Auswirkungen auf Kraftstoffverbrauchswert, CO2-Emissionswerte, Motorleistung, Drehmoment und Geräuscheemissionen.

Auch verbleibe kein merkantiler Minderwert, wie dies bereits von externen Gesellschaften und Instituten wie der T GmbH bzw. DAT-Fahrzeugbewertung bestätigt worden sei.

Zwischen den Beklagten bestehe keine enge rechtliche Verflechtung. Dies gelte erst Recht für das streitgegenständliche Fahrzeug, dass die Beklagte zu 1) vor dem Weiterverkauf an den Kläger nicht von der Beklagten zu 2), sondern von einem Privatkunden erworben habe.

Die Beklagte zu 1) habe erstmals durch die mediale Berichterstattung im September 2015 von der NOx-Thematik erfahren.

Da schon die Voraussetzungen einer Anfechtbarkeit wegen arglistiger Täuschung, eines Rücktritts und eines Schadensersatzanspruchs insgesamt nicht gegeben seien, sei die Klage insgesamt unbegründet.

Jedenfalls aber müsse sich der Kläger einen Nutzungsvorteil anrechnen lassen.

Die Beklagte zu 2) trägt weitergehend vor:

Sie habe den Kläger schon nicht über Tatsachen getäuscht. Jedenfalls aber habe der Kläger nicht täuschungsbedingt geirrt und seine Kaufentscheidung sei unabhängig von den Angaben zum Motor, zumal Umweltaspekte und ein bestimmter Abgasausstoß nicht für die Kaufentscheidung des Klägers maßgeblich gewesen seien. Auch sei kein Vermögensschaden gegeben, weil finanzielle Nachteile für den Kläger nicht bestünden und er nach dem durchzuführenden Software-Update keinerlei negative Auswirkungen auf das Fahrzeug zu erwarten habe.

Jedenfalls aber lägen die subjektiven Voraussetzungen des Betrugs nicht vor: Keine der maßgeblichen Vorstände habe Kenntnis von den Softwareeinstellungen gehabt, so dass keine Zurechnung nach § 31 BGB in Betracht komme. Auch für eine Wissenszurechnung analog § 166 BGB im Rahmen des §826 BGB setze jedenfalls voraus, dass der Kläger zunächst benenne, welche konkreten Mitarbeiter welche Kenntnisse aufgewiesen hätten. Schließlich fehle es an der Stoffgleichheit.

Für eine Haftung nach § 826 BGB fehle darüber hinaus die besondere Verwerflichkeit. Selbst bei einem Verstoß gegen Art 5 Abs. 2 i.V.m. Art 2 Nr. 19 VO (EG) Nr. 715/2007 ergebe sich keine besondere Verwerflichkeit, weil die Norm ausweislich der Erwägungsgründe vorrangig der Verbesserung der Luftqualität diene und allenfalls Verhaltensnormen mit allgemeinschützenden öffentlich-rechtlichem Charakter aufweise.

Jedenfalls aber müsse sich der Kläger einen Nutzungsersatz anrechnen lassen. Insoweit werde bis zur Mitteilung der tatsächlichen Laufleistung ein Leistungsverweigerungsrecht geltend gemacht.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Die Klage ist insgesamt zulässig. Soweit der Kläger zunächst einen abweichenden Klageantrag zu 4) stellte, liegt eine Klageänderung iSd § 263 ZPO vor, in welche die Beklagten jedoch durch Antragstellung einwilligten (§ 267 ZPO), zumal diese im Übrigen auch sachdienlich iSd § 263 ZPO ist. Auch der Klageantrag zu 4) ist hinreichend bestimmt iSd § 253 ZPO, zumal sich durch Auslegung entsprechend §§ 133, 157 BGB auch unzweifelhaft ermitteln lässt, von welcher Forderung der Kläger freigestellt werden möchte.

Die Klage ist teilweise begründet:

Klageantrag zu 1)

Der Kläger hat einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich der Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Fahrzeugs gem. §§ 437 Nr. 2, 323, 346 Abs.1, 348 BGB gegen die Beklagte zu 1).

Das Fahrzeug war bei Gefahrübergang mangelhaft iSd § 434 BGB. Denn auch nach dem Vorbringen der Beklagten ist ein Software-Update notwendig, um den entsprechenden Auflagen des Kraftfahrtbundesamtes zu genügen und nicht den Verlust der allgemeinen Betriebserlaubnis zu riskieren. Selbst wenn das Kraftfahrt-Bundesamt vorliegend im Wege einer nachträglichen Nebenbestimmung mitgeteilt hat, dass zunächst eine Rücknahme der Genehmigung nicht erfolgen soll, kann daraus nicht hergeleitet werden, dass sie die Genehmigung uneingeschränkt für wirksam erachtet. Gerade dies ist wohl nicht der Fall, da das Kraftfahrtbundesamt sich gerade an dem Nachrüstungsverfahren beteiligen lässt und die erforderlichen Maßnahmen dahingehend prüft, ob die geplanten Schritte die erforderlichen Kriterien für die erteilte Genehmigung nachträglich erfüllen. Daher kann aus dem derzeitigen Fehlen des beim Rückruf aufzuspielenden Software-Updates auch auf die Mangelhaftigkeit des klägerischen Fahrzeugs geschlossen werden (ebenso LG Frankenthal, Urteil vom 12.05.2016 – 8 O 208 / 15).

Die Beklagtenseite kann sich auch nicht erfolgreich auf die behauptete Unerheblichkeit des Mangels iSd § 323 Abs. 5 BGB berufen:

Für die technische Vorbereitung der beabsichtigten Mangelbeseitigung ist vorliegend nach dem Beklagtenvortrag ein erheblicher zeitlicher Vorlauf erforderlich. So rekurriert die Beklagte selbst darauf, dass ihr eine Mangelbeseitigung innerhalb weniger Wochen nicht möglich sei, sondern erst im Laufe des Rechtsstreits im Januar 2017 erfolgen könne. Erst nach Ablauf dieser erheblichen Zeitspanne soll dann der Mangel innerhalb einer halben Stunde behoben werden können. Es handelt sich daher offensichtlich nicht um eine einfache technische Maßnahme, die kurzfristig und ohne weitere Vorbereitungen hätte vorgenommen werden können (LG München I – Urteil vom 14.04.2016 – 23 O #####/####). Zudem musste der Hersteller hierfür zunächst die Genehmigung des Kraftfahrt-Bundesamtes einholen. Eine Mangelbeseitigungsmaßnahme, die der vorherigen behördlichen Prüfung und Genehmigung bedarf, ist aber ebenfalls nicht als unerheblich anzusehen (LG München I aaO). Außerdem steht einer „Unerheblichkeit“ des Mangels entgegen, dass dieser gerade nicht in einer beliebigen Werkstatt zu einem Preis von unter 100 € beseitigt werden kann, sondern erst nach Entwicklung spezieller Software. Dass der Aufwand für das Aufspielen dieser Software nach deren aufwändigen und genehmigungsbedürftigen Entwicklung dann keine für die Stellen, denen die Software dann zur Verfügung gestellt wird, keinen großen Arbeitsaufwand mehr darstellt, begründe nicht die Unerheblichkeit im Rechtssinne.

Zwar wurde hier nicht bereits mit Schreiben vom 07.12.2015 wirksam der Rücktritt erklärt, da die Voraussetzungen für einen unmittelbaren Rücktritt nicht vorlagen. Jedoch ist mit Schreiben vom 07.12.2015 zugleich zur Mangelbeseitigung aufgefordert worden.

Die im Schreiben vom 07.12.2015 gesetzte Frist ist zwar unangemessen kurz, setzte dann jedoch eine angemessene Frist in Gang.

Die Angemessenheit der Frist beurteilt sich zwar vorrangig nach dem Interesse des Käufers, der gerade bei Alltagsgeschäften die kurzfristige Reparatur oder den sofortigen Austausch der mangelhaften Sache beanspruchen kann (vgl. BT-Drucks. 10/6040, S. 234). Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Verkäufer dem Käufer die Zeit zugestehen muss, die dieser für die geforderte Art der Nacherfüllung bei objektiver Betrachtung benötigt, weshalb letztendlich die Frage der Angemessenheit der Frist nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles beantwortet werden kann (vgl. Reinking/Eggert, Der Autokauf, 12. Aufl. 2014, Rn. 902f).

Zweck des Rechts zur zweiten Andienung ist einerseits das Interesse des Gläubigers (Käufers) an alsbaldiger Klarheit darüber, ob der Schuldner (Verkäufer) die geschuldete Leistung noch erbringen kann und wird; andererseits soll dem Schuldner (Verkäufer) die letzte Möglichkeit gegeben werden, die Leistung tatsächlich noch zu erbringen. Die Frist muss daher so lang bemessen sein, dass der Verkäufer in der Lage ist, die bereits begonnene Erfüllung noch zu vollenden. Sie braucht allerdings nicht so lang zu sein, dass der Verkäufer die Möglichkeit hat, erst dann mit der Leistungsvorbereitung zu beginnen (vgl. Alpmann in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a., jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 323 Rn. 24).

Bei der Bemessung der Frist ist zu berücksichtigen, dass es sich vorliegend um eine Ausnahmesituation handelt. So betrifft der vom Kläger gerügte Mangel sehr viele Fahrzeuge in ganz Deutschland. Zwar ist dieser Umstand grundsätzlich nicht dem Kläger, sondern dem Fahrzeughersteller zuzurechnen, aber aufgrund der umfangreichen und weitreichenden Thematik ist es nachvollziehbar, dass die Nacherfüllung vorliegend nur anhand eines Gesamtkonzepts erfolgen kann, das zu einer gesamtheitlichen Problemlösung führt. Hierbei hat eine Nachbesserung auch zu berücksichtigen, dass es nicht nur um das individuelle Fahrzeug des Klägers geht, sondern, dass bei einer Vielzahl an Fahrzeugen eine gleichlautende Nachbesserung erforderlich ist. Dies kann verständlicherweise nur durch eine sukzessive und geplante Vorgehensweise durchgeführt werden. Bei einer solchen Vorgehensweise kann sodann aber nicht mehr mit denjenigen Fahrzeugen begonnen werden, bezüglich derer bereits Gewährleistungsrechte geltend gemacht wurden. Es ist nachvollziehbar, dass ein Vorgehen dabei nach Gruppierungen erfolgen muss, bei denen gleichartige Mangelgruppen – vorliegend dieselben Motortypen – der Reihe nach nachgebessert werden.

Ein solches Gesamtkonzept hat der Fahrzeughersteller vorliegend erstellt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass nicht nur der Fahrzeughersteller dieses Konzept erstellen und prüfen muss, was in Bezug auf die Beklagte bereits nicht beeinflusst werden kann, sondern dass vorliegend dieses Konzept auch mit dem Kraftfahrtbundesamt abgestimmt werden musste. Diese Umstände stellen erhebliche Abweichungen von einem „üblichen“ Mangel eines Kraftfahrzeuges dar, der grdsl. nur eine relativ kurze Nacherfüllungsfrist rechtfertigt. Aufgrund dieser Umstände ist die Frist im vorliegenden Fall deutlich länger zu bemessen, als bei normalen Kraftfahrzeugmängeln (vgl. LG Frankenthal aaO).

Eine länger zu bemessende Frist ist auch vor dem Umstand gerechtfertigt bzw. dem Kläger zuzumuten, da er das erworbene Fahrzeug, wie dies auch vom Fahrzeughersteller mitgeteilt wurde, uneingeschränkt weiter nutzen kann, es verkehrssicher sowie voll funktionsuntüchtig ist und das Kraftfahrt-Bundesamt ausdrücklich davon absieht, die erteilte Genehmigung zu entziehen. Auch dies stellt eine Abweichung von „üblichen“ Mängeln dar, da in den meisten Fällen eine erhebliche Beeinträchtigung der Nutzbarkeit des Fahrzeugs vorliegt, ggf. sogar völlige Unbenutzbarkeit.

Hiergegen spricht auch nicht, dass der Kläger moniert, dass Fahrzeug halte nicht die erforderlichen Abgasgrenzwerte ein, da dies nicht dazu führt, dass das Fahrzeug verkehrs- und gebrauchsuntauglich wäre.

Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles (hier: u.a. auch Freigabe der Software für diese Motorengruppe bereits im November 2016) ist jedoch lediglich ein Zuwarten bis zum Ende des Jahres 2016 noch als „gerade angemessen“ anzusehen (ebenso schon LG Kleve 3 O 153/16, Urteil vom 02.12.2016).

Die hier angebotene Nachbesserung erst im Januar 2017 ist daher als verspätet zu bewerten.

Die Aufrechterhaltung des Klageantrags zu 1) in der Verhandlung vom 24.01.2017 ist als (erneute konkludente) Rücktrittserklärung entsprechend §§ 133, 157 BGB anzusehen.

Der Kläger kann den Kaufpreis jedoch nur abzüglich der erlangten Gebrauchsvorteile für die Nutzung des Fahrzeugs erlangen. Nach zutreffender Ansicht (vgl. etwa OLG Düsseldorf BeckRS 2014, 14180) sind die Nutzungsvorteile nach einem Gebrauchtwagenkauf entsprechender folgender Formel zu berechnen:

Gebrauchsvorteile = Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer : erwartbare Restlaufleistung

Unter Berücksichtigung der klägerischen Angaben legt das Gericht entsprechend § 287 ZPO zugrunde, dass das streitgegenständliche Fahrzeug zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vom 24.01.2017 in der Besitzzeit des Klägers 41.500 km gefahren wurde.

Für das hier streitgegenständliche Fahrzeug ist entsprechend § 287 ZPO eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km zu erwarten. Soweit die Klägerseite pauschalierend vorträgt, dass „Fahrzeuge dieser Art Kilometerlaufleistungen bis zu 500.000 km aufwiesen“ ist dies rechtlich unbeachtlich, da es nicht auf Maximalwerte ankommt, sondern die zu erwartende Gesamtlaufleistung. Diese ist gerade auch für diesen Motor mit 250.000 km zu veranschlagen (ebenso: LG Krefeld NJW-RR 2016, 1397 (1399) für das vergleichbare Fahrzeug Audi A1 mit ebenfalls 2,0-Liter-Dieselmotor vom Typ EA189). Zum Abschluss des Kaufvertrags hatte der Kläger daher noch eine Laufleistung von 230.000 km zu erwarten. Daher hat der Kläger Nutzungsvorteile in Höhe von 3.229,78 € zu erstatten. Dem kann der Kläger nicht erfolgreich entgegenhalten, dass sein Fahrzeug während seiner Besitzzeit mangelhaft war, weil hiermit keine – jedenfalls keine maßgebliche – Beeinträchtigung der Nutzung einherging.

Daher steht dem Kläger lediglich ein Anspruch auf Rückzahlung von 14.670,22 € (17.900 € Kaufpreis abzüglich Gebrauchsvorteil von 3.229,78 €) zu.

Rechtshängigkeitszinsen hieraus kann der Kläger ab dem 26.10.2016 gemäß §§ 291, 288 BGB verlangen.

Einen weitergehenden Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises steht dem Kläger auch nicht gemäß § 812 BGB im Hinblick auf die vorrangig erklärte Anfechtung wegen arglistiger Täuschung zu: Denn der Kläger hat nicht nachgewiesen, dass die Beklagte zu 1) arglistig iSd § 123 BGB handelte: Der Kläger behauptet selbst schon nicht, dass die Beklagte als bloße Händlerin von der Abgasmanipulation zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses wusste. Ein arglistiges Verhalten des Fahrzeugherstellers muss sich die Beklagte nicht zurechnen lassen, denn bei dieser handelt es sich um eine rechtlich selbständige Vertragshändlerin, die als solche Produkte des Herstellers vertreibt, die sie nicht selbst hergestellt und in deren Herstellung sie auch nicht einbezogen ist. Eine Wissenszurechnung nach § 166 BGB scheidet demnach aus (vgl. LG Frankenthal aaO).

Darüber hinaus hätte der Kläger aber auch bei einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ebenfalls seine Bereicherung (hier: die Nutzungsvorteile) an die Beklagte zu 1) zurückzugewähren, worauf sich die Beklagte zu 1) auch berufen hat.

Klageantrag zu 2)

Der Kläger hat gegen die Beklagte zu 2) einen Anspruch auf Schadloshaltung gemäß §§ 826, 249 ff. BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV.

Die Einwirkung auf die Steuerungssoftware während des Prüfstandtestes mit der beabsichtigten Folge, dass die damit manipulierten Ergebnisse sich verfälschend zugunsten der Beklagten sowohl bei der Schadstoffklasseneingruppierung („Euro-Normen“) als auch in Werte, welche die Kaufinteressenten entweder unmittelbar oder etwa über „Vergleichstests“ verschiedener Fahrzeuge in den Medien erreichen, Eingang finden und so die Kaufentscheidung manipulierend beeinflussen, stellt ein vorsätzlich sittenwidriges Verhalten dar. Denn andere Gründe, als durch diese Manipulation unberechtigterweise auf Kosten der Erwerber Umsatz und Gewinn zu steigern, sind nicht ersichtlich.

Entgegen der Ansicht der Beklagten liegt in der Manipulation bei der Beklagten zu 2) ein Verstoß gegen das Verbot von Inverkehrgabe und Handel ohne gültige Bescheinigung in § 27 Abs. 1 EG-FGV und zum anderen gegen die Pflicht zur Erteilung einer gültigen Bescheinigung gemäß § 6 Abs. 1 EG-FGV und hierbei handelt es sich jeweils um Verbotsgesetze iSd § 823 Abs. 2 BGB. Hierzu wird auf die insoweit überzeugenden Ausführungen in dem Aufsatz „Herstellerhaftung im Abgasskandal“ von Harke in VuR 2017, 83 ff. verwiesen.

Die sittenwidrige Schädigung und der Verstoß gegen das Verbotsgesetz ist nach Auffassung der Kammer auch kausal für die Kaufentscheidung des Klägers gewesen: Es ist anerkannt, dass bei täuschenden (bzw. manipulativen) Verhalten für die Darlegung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Täuschung und Abgabe der Willenserklärung es ausreichend ist, dass der Getäuschte Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluss von Bedeutung sein konnten und nach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts Einfluss auf die Entschließung gehabt haben können (vgl. etwa BGH Urt. v. 12.05.1995 – V ZR 34/94 – in NJW 1995, 2361 zu § 123 BGB). Von der Manipulation bei der Beklagten zu 2) ist hier der Motor und damit der wertvollste und elementarste Bestandteil des KFZ betroffen. Die manipulierten Daten haben Einfluss auf die Schadstoffklasseneingruppierung und die Zulassung. Nach der Lebenserfahrung ist daher davon auszugehen, dass sie auf die Kaufentscheidung des Klägers Einfluss hatten, ohne dass es darauf ankommt, ob er im Ankaufsgespräch konkret äußerte, ein besonders schadstoffarmes Fahrzeug erwerben zu wollen.

Entsprechende Verstöße im Hause der Beklagten zu 2) sind dieser auch entsprechend §§ 31, 166 BGB unmittelbar zuzurechnen:

Zwar trifft es zu, dass der Kläger die Voraussetzungen dieser Zurechnungsnormen darzulegen und zu beweisen hat.

Jedoch hat die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast insoweit nicht genügt:

Eine sekundäre Darlegungslast besteht, wenn der beweisbelasteten Partei näherer Vortrag nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn die beweisbelastete Partei außerhalb des von ihr vorzutragenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Gegner zumutbar nähere Angaben machen kann (vgl. etwa BeckOK ZPO/Bacher ZPO § 284 Rn. 85 mwN).

Diese Voraussetzungen sind hier gegeben: Die Klägerseite kann nicht näher dazu vortragen, in welcher Organisationseinheit der Beklagten die Entscheidung für die Entwicklung der Software gefallen ist und bis zu welcher „höheren Ebene“ diese Entscheidung wann „weiterkommuniziert“ wurde. Dagegen lässt die Beklagte zu 2) vortragen, dass sie die „genaue Entstehung“ der zum Einsatz kommenden Software „umfassend aufklären lässt“ (so Klageerwiderung S.22 = Bl. 185 GA) und daher den derzeitigen Ermittlungsstand auch substantiiert darstellen kann.

Eine derartige Mitteilung ist auch zumutbar: Angesichts des Zeitablaufes und der Bedeutung für die Beklagte dürften detaillierte Erkenntnisse vorliegen und es nicht erkennbar, welche weiteren „Nachforschungsschritte“ noch erforderlich sind.

Eine Information des Vorstandes der Beklagten ist auch nicht von vornherein abwegig:

Der Vorstand hat das Unternehmen den gesetzlichen Bestimmungen gemäß zu organisieren und zu führen (sog. „Compliance“ vgl. MüKoAktG/Spindler AktG § 91 Rn. 52-53) Im Hinblick auf gesetzliche Pflichten (vgl. etwa §§ 76, 77, 91 Abs. 2 AktG) ist davon auszugehen, dass bei der Beklagten organisatorische Maßnahmen (u.a. etwa durch Einrichtung von Innenrevision und Controlling, vgl. Hüffer/Koch AktG § 91 Rn 10) in der Weise getroffen wurden, dass Berichtspflichten gegenüber dem Vorstand für alle wesentlichen Entscheidungen eingerichtet sind und deren Einhaltung durch Kontrollmaßnahmen auch gewährleistet ist. Die Beeinflussung der Motorsteuersoftware einer ganzen Motorenreihe speziell für den NEFZ-Prüfstand erscheint – auch unter Berücksichtigung des bei Entwicklung gegebenen Blickwinkels – als eine derart wesentliche Entscheidung. Wenn die Entwicklung einer Elektroniksteuerungssoftware mit einem größeren finanziellen Aufwand verbunden ist, müssen hierfür auch entsprechende Budgets in Anspruch genommen sein.

Dementsprechend hatte das Gericht bereits im Rahmen der mündlichen Verhandlung die Rechtslage gerade im Hinblick auf die sekundäre Darlegungslast weitergehend erörtert und der Beklagten zu 2) durch einen Auflagenbeschluss aufgegeben, vorzutragen, auf welcher „Ebene unterhalb der Vorstandsebene“ die Entscheidung getroffen ist, die Motorsteuerungssoftware zu verändern, welche Budgets hierfür eingesetzt worden sind und ob und an wen jeweils die Entscheidungen an darüber befindliche Hierarchieebenen weiterkommuniziert wurden (vgl. Sitzungsprotokoll S. 2 = Bl. 523 GA).

Soweit die Beklagtenseite im Schriftsatz vom 21.03.2017 statt Erfüllung des Auflagenbeschlusses Ausführungen zur Unzumutbarkeit der Auflagenerfüllung macht, gebietet diese Ausführungen nicht die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, da sie aus den vorgenannten Gründen nicht zutreffen. Insbesondere bestehen sehr wohl erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass diese unternehmenswesentliche Entscheidung gerade nicht unterhalb der Vorstandsebene getroffen und vor den Vorständen auch gerade nicht „verheimlicht“ worden ist.

Deshalb muss in der hier zur Entscheidung stehenden prozessualen Lage mangels substantiierter gegenteiliger Darlegung durch die Beklagte davon ausgegangen werden, dass diese Entscheidung vom Vorstand angeordnet oder doch jedenfalls „abgesegnet“ worden ist (ebenso: LG Hildesheim DAR 2017, 83).

Es kommen auch weitergehende – derzeit noch nicht bezifferbare – Schäden in Betracht: Die Klägerseite hat – insoweit unwidersprochen – vorgetragen (S. 17 der Klageschrift) , dass unter anderem Klageverfahren gegen das Kraftfahrtbundesamt vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen wegen der Weiterzulassung der Fahrzeuge laufen. Sollte sich die Weiterbenutzung des Fahrzeugs nachträglich als rechtswidrig darstellen, käme auch eine nachträgliche Inanspruchnahme des Klägers als „Handlungsstörer“ in Betracht. Darüber hinaus hat der Kläger vorgetragen, in der Fahrzeugnutzung jedenfalls insoweit eingeschränkt zu sein, als er bestimmte Länder (etwa Schweiz) mit seinem Fahrzeug nicht bereisen könne, so dass weitergehender Schadensersatz in Betracht kommt.

Klageantrag zu 3)

Es war auch der Annahmeverzug festzustellen. Hier genügt das wörtliche Angebot des Klägers (§ 295 BGB), da nach ständiger Rechtsprechung des BGH einheitlicher Erfüllungsort für die Rückabwicklung des Kaufvertrags der Ort ist, an dem sich die Kaufsache bestimmungsgemäß befindet (hier: Wohnsitz des Klägers) und demnach die Beklagte zu 1) den PKW auch dort abzuholen hat. Wegen der Mitwirkungshandlung der Beklagten zu 1) war daher das wörtliche Angebot ausreichend, um Annahmeverzug zu begründen.

Klageantrag zu 4)

Der Kläger hat gegen die Beklagte zu 1) keinen Anspruch auf Freistellung von den Rechtsanwaltskosten gemäß § 280 Abs. 1 BGB: Schon vertraglich sind durch die einbezogenen AGBs derartige Schadensersatzansprüche ausgeschlossen. Daneben hat sich die Beklagte zu 1) aber auch von dem nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermuteten Verschulden entlastet, weil keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie Kenntnis von der Abgasmanipulation hatte.

Ein Anspruch auf Freistellung von Anwaltskosten kann entgegen der klägerischen Rechtsansicht auch nicht aus § 439 Abs. 2 BGB hergeleitet werden.

Schließlich bestehen keine Ansprüche gegen die Beklagte zu 1) gemäß §§ 823 ff. BGB, da deliktisches Verhalten der Beklagten zu 1) gerade nicht nachgewiesen ist.

Dagegen steht dem Kläger gegen die Beklagte zu 2) ein Anspruch auf Freistellung von den vorgerichtlichen Anwaltskosten für das anwaltliche Schreiben vom 07.12.2015 gemäß §§ 826, 249 ff. BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zu. Hierzu wird auf die Ausführungen zu Klageantrag 2) verwiesen.

Der Höhe nach ist die Freistellung aber auf die berechtigterweise anzusetzenden Anwaltskosten beschränkt: Hier ist im Hinblick auf den anzusetzenden Gebrauchsvorteil lediglich ein Gegenstandswert von „bis 16.000 €“ anzusetzen. Ferner sind die Voraussetzungen für die Geltendmachung einer mehr als 1,3-fachen Gebühr auch nicht dargetan: Eine besondere rechtliche Schwierigkeit besteht – auch im Verhältnis zu anderen PKW-Rückabwicklungen – nicht, zumal der Tatsachenhintergrund zum Mangel auch seinerzeit schon feststand. Allein dadurch, dass während dieses Prozesses alle in irgendeinem Zusammenhang zum Abgasskandal stehenden Entscheidungen und Presseartikel zitiert bzw. zum Aktenbestandteil gemacht werden, kann weder ein besonderer Umfang noch eine besondere Schwierigkeit begründet werden, zumal es auch auf den damaligen Zeitpunkt der vorgerichtlichen Tätigkeit ankommt. Auch ist eine besondere Bedeutung für den Kläger nicht dargetan, da lediglich pauschal auf die allgemeine Wichtigkeit eines Autokaufs abgestellt wird, aber keinerlei individuelle Informationen (etwa: Einkommens- und Vermögenssituation usw.) dargestellt werden.

Aus der klägerseitigen Berechnung ergibt sich, dass er lediglich Freistellung von den nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten begehrt, so dass insoweit lediglich 0,65 x 650 € zzgl. 20 € Auslagenpauschale und 19 % Umsatzsteuer, also 526,58 € anzusetzen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO unter Berücksichtigung der Grundsätze der „Baumbach´schen Formel“.

Die Vollstreckbarkeitsentscheidung beruht auf § 709 ZPO (Vollstreckung durch den Kläger), bzw. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO (Vollstreckung durch Beklagtenseite)

Der Streitwert wird auf 18.900 € (davon 17.900 € für den Klageantrag zu 1), 1.000 € für den Klageantrag zu 2), 0 € für den Klageantrag zu 3), da neben dem Klageantrag zu 1) ohne eigenen wirtschaftlichen Wert, 0 € für den Klageantrag zu 4) gemäß § 4 ZPO festgesetzt.

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